Die Entwicklung der Situation von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland

In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland sowohl verbessert als auch verschlechtert. Während in einigen Bereichen Fortschritte erzielt wurden, bestehen in anderen weiterhin erhebliche Herausforderungen oder es sind neue hinzugekommen. Dieser Artikel beleuchtet die Entwicklungen in verschiedenen Lebensbereichen, gestützt auf aktuelle Daten und Quellen, interpretiert diese und setzt sie in einen gesellschaftlichen Kontext.


1. Bildung

Verbesserungen

  • Steigende Bildungsabschlüsse:Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an Gymnasien ist gestiegen. Laut dem Bildungsbericht 2022, herausgegeben von der Kultusministerkonferenz und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), erhöhte sich die Gymnasialquote dieser Gruppe kontinuierlich in den letzten Jahren.
  • Frühkindliche Bildung:Mehr Kinder mit Migrationshintergrund besuchen Kindertagesstätten, was sich positiv auf ihre Sprachentwicklung und spätere Schullaufbahn auswirkt. Das Statistische Bundesamt (Destatis) berichtet in „Kindertagesbetreuung regional 2022“, dass die Betreuungsquote von Kindern unter sechs Jahren mit Migrationshintergrund auf über 70 % gestiegen ist.

Herausforderungen

  • Anhaltende Bildungsungleichheiten:Trotz positiver Entwicklungen besteht weiterhin eine signifikante Kluft. Die Schulabbruchquote bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist nach wie vor doppelt so hoch wie bei ihren Altersgenossen ohne Migrationshintergrund. Der Bildungsbericht 2022 zeigt, dass 12 % der Jugendlichen mit Migrationshintergrund die Schule ohne Abschluss verlassen, verglichen mit 6 % ohne Migrationshintergrund.
  • Segregation in Schulen:Schulen mit hohem Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund sind oft schlechter ausgestattet und erzielen niedrigere Bildungsergebnisse. Die Bertelsmann Stiftung weist in ihrem „Chancenspiegel 2021“ darauf hin, dass diese Schulen häufig mit Ressourcenknappheit und personellen Engpässen konfrontiert sind.

Interpretation und Kontextualisierung

Die Fortschritte in der Bildungsbeteiligung spiegeln die Wirksamkeit von Integrations- und Förderprogrammen wider. Die erhöhte Teilnahme an frühkindlicher Bildung legt den Grundstein für bessere Sprachkenntnisse und soziale Integration. Dennoch zeigen die anhaltenden Ungleichheiten, dass strukturelle Barrieren weiterhin bestehen. Die Segregation führt zu ungleichen Bildungschancen und perpetuiert soziale Ungleichheiten. Um eine gerechtere Verteilung von Ressourcen und Chancengleichheit zu gewährleisten, sind gezielte Maßnahmen erforderlich.


2. Arbeitsmarktintegration

Verbesserungen

  • Erhöhte Erwerbstätigkeit:Die Erwerbstätigenquote von Menschen mit Migrationshintergrund stieg 2022 auf etwa 70 %. Der Mikrozensus 2022 des Statistischen Bundesamtes zeigt, dass insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund vermehrt am Arbeitsmarkt teilnehmen.
  • Anerkennung von Berufsqualifikationen:Das 2012 eingeführte Anerkennungsgesetz hat den Prozess der Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse erleichtert. Laut dem Bericht zum Anerkennungsgesetz 2022 des BMBF wurden seit Einführung über 350.000 Anträge gestellt, wobei die Anerkennungsquote stetig steigt.

Herausforderungen

  • Höhere Arbeitslosigkeit:Die Arbeitslosenquote unter Menschen mit Migrationshintergrund liegt weiterhin über dem Durchschnitt. Laut der Arbeitsmarktberichterstattung 2022 der Bundesagentur für Arbeit betrug sie etwa 8 %, während sie bei Menschen ohne Migrationshintergrund bei 5 % lag.
  • Qualifikationsadäquate Beschäftigung:Viele sind unterhalb ihrer Qualifikation beschäftigt. Der Forschungsbericht „Berufliche Integration von Migrantinnen und Migranten“ 2021 des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt, dass über 30 % der Hochqualifizierten Tätigkeiten ausüben, die nicht ihrem Bildungsniveau entsprechen.
  • Diskriminierung:Bewerber*innen mit ausländisch klingenden Namen haben geringere Chancen auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Die Studie „Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt“ des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) 2018 belegt, dass Diskriminierung ein erhebliches Hindernis darstellt.

Interpretation und Kontextualisierung

Die gestiegene Erwerbstätigkeit ist ein positives Signal und weist auf eine bessere Integration hin. Die erleichterte Anerkennung von Berufsqualifikationen trägt dazu bei, das Potenzial von Migrant*innen zu nutzen. Dennoch bleibt die Diskrepanz in der Arbeitslosenquote ein Indikator für bestehende Barrieren. Unterbeschäftigung und Diskriminierung führen nicht nur zu individuellen Nachteilen, sondern auch zu volkswirtschaftlichen Verlusten durch ungenutzte Qualifikationen. Es sind weitere Maßnahmen notwendig, um Chancengleichheit herzustellen und Diskriminierung abzubauen.


3. Einkommen und Armut

Verbesserungen

  • Leichte Einkommenssteigerungen:In einigen Segmenten haben Menschen mit Migrationshintergrund Einkommenszuwächse verzeichnet. Besonders Hochqualifizierte profitieren von der positiven Wirtschaftsentwicklung. Die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 des Statistischen Bundesamtes zeigt einen Anstieg des durchschnittlichen Nettohaushaltseinkommens in dieser Gruppe.

Herausforderungen

  • Anhaltend hohe Armutsgefährdung:Die Armutsgefährdungsquote liegt bei Menschen mit Migrationshintergrund weiterhin bei etwa 28 %, verglichen mit 12 % bei Personen ohne Migrationshintergrund. Dies geht aus dem Bericht „Lebenslagen der Bevölkerung 2021“ des Statistischen Bundesamtes hervor.
  • Einkommensunterschiede:Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) 2020 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) bestätigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund im Durchschnitt ein niedrigeres Einkommen haben, was ihre soziale Teilhabe einschränkt.

Interpretation und Kontextualisierung

Die Einkommenssteigerungen bei Hochqualifizierten zeigen, dass Integrationserfolge möglich sind. Allerdings verdeutlichen die anhaltend hohen Armutsquoten die prekäre Situation vieler Migrant*innen. Ursachen hierfür sind unter anderem niedrige Bildungsabschlüsse, Diskriminierung und prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Armut wirkt sich negativ auf Gesundheit, Bildungschancen der Kinder und gesellschaftliche Teilhabe aus. Strategien zur Armutsbekämpfung sollten daher spezifische Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund berücksichtigen.


4. Diskriminierung und Rassismus

Verbesserungen

  • Gestiegenes Bewusstsein:Öffentlichkeitskampagnen und Bildungsinitiativen haben das Bewusstsein für Diskriminierung erhöht. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet in ihrem Jahresbericht 2021 von einer steigenden Sensibilisierung in der Bevölkerung.
  • Gesetzliche Maßnahmen:Die Verstärkung von Antidiskriminierungsgesetzen und die Einrichtung von Beratungsstellen bieten Betroffenen mehr Schutz und Unterstützung. Anpassungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) bis 2022 erweitern die Rechtsgrundlagen gegen Diskriminierung.

Herausforderungen

  • Zunahme von Diskriminierungserfahrungen:Trotz gestiegenem Bewusstsein nehmen Diskriminierungserfahrungen zu. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verzeichnete im Jahresbericht 2021 einen Anstieg der Beratungsanfragen zu ethnischer Diskriminierung um 10 % gegenüber dem Vorjahr.
  • Anstieg rechtsextremer Straftaten:Das Bundeskriminalamt (BKA) meldet in „Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2021“ einen Anstieg rechtsextrem motivierter Straftaten auf über 21.000 Fälle, den höchsten Stand seit Beginn der Erfassung.

Interpretation und Kontextualisierung

Die zunehmenden Diskriminierungserfahrungen und rechtsextremen Straftaten sind alarmierend und weisen auf gesellschaftliche Spannungen hin. Das gestiegene Bewusstsein allein reicht nicht aus, um Diskriminierung effektiv zu bekämpfen. Es bedarf umfassender Strategien, die Bildung, Prävention und konsequente Strafverfolgung einschließen. Die Polarisierung der Gesellschaft trägt zur Verschärfung des Problems bei und gefährdet den sozialen Zusammenhalt.


5. Soziale Integration

Verbesserungen

  • Erweiterte Integrationsangebote:Die Einführung und der Ausbau von Integrationskursen, Sprachförderung und kulturellen Projekten haben positive Effekte gezeigt. Die Integrationskursgeschäftsstatistik 2021 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berichtet von steigenden Abschlussquoten.
  • Bürgerschaftliches Engagement:Menschen mit Migrationshintergrund beteiligen sich zunehmend in Vereinen und Initiativen. Der Freiwilligensurvey 2019 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) zeigt, dass die Engagementquote dieser Gruppe auf 31 % gestiegen ist.

Herausforderungen

  • Gesellschaftliche Polarisierung:Die Zunahme populistischer Strömungen hat zu verstärkter Ablehnung von Migration geführt. Die Bertelsmann Stiftung zeigt in der Studie „Einstellungen zur Integration 2021“, dass 36 % der Befragten Migration als Bedrohung empfinden.
  • Räumliche Segregation:Die Konzentration von Migrant*innen in bestimmten Stadtteilen erschwert die soziale Durchmischung. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) weist in „Stadtentwicklung und Integration 2020“ darauf hin, dass soziale Brennpunkte entstehen, die Integrationsbemühungen behindern.

Interpretation und Kontextualisierung

Die erweiterten Integrationsangebote und das gestiegene Engagement sind positive Zeichen. Allerdings wirkt die gesellschaftliche Polarisierung diesen Bemühungen entgegen. Vorurteile und Ablehnung führen zu Ausgrenzung und erschweren die Teilhabe. Räumliche Segregation verstärkt soziale Ungleichheiten und fördert die Bildung von Parallelgesellschaften. Eine aktive Stadtentwicklungspolitik und Dialoginitiativen sind notwendig, um Integration vor Ort zu fördern.


6. Einfluss der Flüchtlingszuwanderung seit 2015

Verbesserungen

  • Schnelle Integration in Ausbildung und Arbeit:Viele Geflüchtete haben erfolgreich Sprachkurse absolviert und eine Ausbildung oder Arbeit aufgenommen. Die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten 2022 zeigt, dass rund 50 % der seit 2015 Zugewanderten einer Beschäftigung nachgehen.
  • Gesellschaftliches Engagement:Zahlreiche Ehrenamtliche haben sich in der Flüchtlingshilfe engagiert. Der Freiwilligensurvey 2019 des BMFSFJ dokumentiert ein hohes Maß an zivilgesellschaftlichem Engagement.

Herausforderungen

  • Überforderung lokaler Strukturen:Kommunen standen vor logistischen und finanziellen Herausforderungen. Der Deutsche Städtetag betont in seinem Positionspapier „Flüchtlingspolitik 2016“ den Bedarf an langfristiger Unterstützung.
  • Langfristige Integration:Die nachhaltige Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft erfordert kontinuierliche Anstrengungen. Das Jahresgutachten 2021 des SVR mahnt, dass Bildung und Spracherwerb zentrale Erfolgsfaktoren sind.

Interpretation und Kontextualisierung

Die Flüchtlingszuwanderung hat Deutschland vor neue Aufgaben gestellt. Die schnellen Integrationsfortschritte vieler Geflüchteter zeigen deren Motivation und Potenzial. Gleichzeitig haben die Herausforderungen gezeigt, dass Integration Zeit, Ressourcen und ein koordiniertes Vorgehen erfordert. Die gesellschaftliche Debatte um Flüchtlinge hat zur Polarisierung beigetragen, aber auch zu einem stärkeren Bewusstsein für Integrationspolitik.


7. Politische Teilhabe

Verbesserungen

  • Anstieg der Einbürgerungen:Die Zahl der Einbürgerungen ist gestiegen. Destatis berichtet in „Einbürgerungen in Deutschland 2021“ von über 130.000 Einbürgerungen, dem höchsten Wert seit Jahren.
  • Repräsentation in der Politik:Mehr Politiker*innen mit Migrationshintergrund sind in Parlamente eingezogen. Der Mediendienst Integration verzeichnet in „Migranten und politische Partizipation 2021“, dass im aktuellen Bundestag rund 11 % der Abgeordneten einen Migrationshintergrund haben.

Herausforderungen

  • Eingeschränktes Wahlrecht:Viele dauerhaft in Deutschland lebende Migrant*innen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind von Wahlen ausgeschlossen. Das Bundeswahlgesetz (§12) sieht das Wahlrecht nur für deutsche Staatsbürger vor.
  • Unterrepräsentation:Menschen mit Migrationshintergrund sind in Führungspositionen und öffentlichen Ämtern unterrepräsentiert. Das Elitenbarometer 2020 des Allensbach-Instituts zeigt, dass nur 2 % der Führungskräfte einen Migrationshintergrund haben.

Interpretation und Kontextualisierung

Der Anstieg der Einbürgerungen und die erhöhte Repräsentation in der Politik sind wichtige Schritte hin zu einer inklusiven Gesellschaft. Politische Teilhabe fördert Integration und ermöglicht es, die Interessen von Menschen mit Migrationshintergrund besser zu vertreten. Allerdings bleibt die eingeschränkte Beteiligung vieler dauerhaft hier lebender Menschen ein Demokratiedefizit. Eine Debatte über kommunales Wahlrecht und erleichterte Einbürgerungen könnte dazu beitragen, die politische Teilhabe zu stärken.


Fazit

Die Entwicklungen der letzten zehn Jahre zeigen ein gemischtes Bild. Während in Bereichen wie Bildung, Arbeitsmarktintegration und politischer Partizipation Fortschritte erzielt wurden, bestehen weiterhin erhebliche Herausforderungen. Anhaltende Ungleichheiten, Diskriminierung und gesellschaftliche Polarisierung erschweren die vollständige Integration.

Schlussfolgerung:

Eine nachhaltige Verbesserung erfordert kontinuierliche Anstrengungen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Chancengleichheit muss gefördert und Diskriminierung konsequent abgebaut werden, um eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, die Vielfalt als Bereicherung begreift.


Quellen

  • Bildungsbericht 2022 – Kultusministerkonferenz und Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
  • Statistisches Bundesamt (Destatis)
    • Mikrozensus 2022
    • Kindertagesbetreuung regional 2022
    • Lebenslagen der Bevölkerung 2021
    • Einbürgerungen in Deutschland 2021
  • Bundesagentur für Arbeit – Arbeitsmarktberichterstattung 2022
  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – Bericht zum Anerkennungsgesetz 2022
  • Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) – Forschungsbericht „Berufliche Integration von Migrantinnen und Migranten“ 2021
  • Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR)
    • Studie „Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt“ 2018
    • Jahresgutachten 2021
  • Bertelsmann Stiftung
    • Chancenspiegel 2021
    • Studie „Einstellungen zur Integration“ 2021
  • Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) – DIW Berlin 2020
  • Antidiskriminierungsstelle des Bundes – Jahresbericht 2021
  • Bundeskriminalamt (BKA) – „Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2021“
  • Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) – Integrationskursgeschäftsstatistik 2021
  • Freiwilligensurvey 2019 – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
  • Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) – „Stadtentwicklung und Integration“ 2020
  • IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten 2022
  • Deutscher Städtetag – Positionspapier „Flüchtlingspolitik“ 2016
  • Mediendienst Integration – „Migranten und politische Partizipation“ 2021
  • Allensbach-Institut – Elitenbarometer 2020
  • Bundeswahlgesetz

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